Gegen den Strom

„Jetzt halte deine Hand bitte natürlich!“, befahl mir der Regisseur und ich versteifte meine Finger noch ein wenig mehr. „Einfach so, wie sonst auch!“, bestätigte er seine Anweisung, aber daraus wurde nichts.

Ein Theaterstück über Cobain und ich war in dem Moment sein Double, zumindest äußerlich. Innerlich war ich der brave Typ, der ich schon immer war. Immer nett und höflich, aber mit’m Stock im Arsch. Und dieser Stock steckte so tief, dass er wohl bis in die Fingerspitzen wirkte. Den Text übte ich eher durch die Proben, aber ich vermutete, dass das die meisten Schauspieler so machen würden. Zumindest macht es wenig Sinn, vor den ersten Proben zu üben, weil da eh der Regisseur noch eingreift. So hatte man es mir zumindest erzählt. Meine Faulheit feierte daraufhin eine große Party und fühlte sich bestärkt darin, dass sie mich zuvor vom Lernen abgehalten hatte. Ich konnte mir wieder einmal auf die Schulter klopfen, denn wer bin ich, meine Energie zu verschwenden für so etwas Profanes wie das Lernen eines Textes. Als ich in der Probe oben auf der schwarzen Bühne stand, fühlte ich mich nackt so ohne irgendeine Ahnung vom Text. Zum Glück hatte ich eben nicht die Hauptrolle inne und der Typ, der diese spielte, war noch fauler als ich, was ein Ding der Unmöglichkeit war, aber es klingt doch ganz schön, wenn man eben doch noch ein klein wenig weniger Nichts gemacht hat, als ein anderer. So stand ich auf der Bühne, die mich zu erdrücken schien. Ich wollte das ja so und den Text konnte ich nicht und dann sollte ich mich auch noch natürlich bewegen. Keine Ahnung, warum das nicht mehr möglich war oder ob ich mich noch nie natürlich bewegt hatte. Die Probe dauerte eine gefühlte Ewigkeit und die Sache mit der Natürlichkeit wollte auch bis zur Aufführung nicht werden. Mein Kopf ist dummerweise fähig, sich über jeden Furz Gedanken zu machen und das während ich gleichzeitig etwas anderes mache. Nach jener Probe setzte ich mich dann doch hin und lernte meinen Text, denn ich dachte mir, dass ich damit glänzen könnte und dann würde sich die Sache mit der Hand schon erledigen. Den Text konnte ich dann bis zu dem Moment, in dem ich auf der Bühne stand.

Wir probten und probten. Und Stück für Stück fügten sich die Szenen zusammen. Wir spielten mehrere Abende ein Drama über die Stimmen oder Personen in Cobains Kopf, die er schlussendlich zum Schweigen brachte. Wenn ich so zurückblicke, würde ich gern wissen, wie es war dort oben zu stehen, während ich mehr zitterte als mich natürlich zu bewegen.

Ein Bekannter fragte mich damals, ob ich nicht Lust hätte, Improvisationstheater zu spielen. Mit dem Wissen, wie ich auf der Bühne wirken würde, war mir nicht danach. Zumal der Gedanke, dass ich aus dem Nichts heraus etwas erfinden sollte, mir Angst einflößte. Allerdings meinte meine Faulheit in dem Moment, dass es schon ganz nett wäre, wenn ich nie wieder einen Text lernen müsste und da konnte ich ihr nicht widersprechen. Dennoch zog ich es vor, dem spontanen Theater nicht zuzusagen. Ich hatte einfach zu viel Angst davor, denn es wäre noch eine Stufe nackter gewesen, als bei einem Theaterstück, bei dem man sich an die Vorgaben klammern kann.

Eine Weihnachtsfeier mit ordentlich Rum und Cola später, wurde mein Vorhaben, kein Improtheater zu spielen, jäh unterbunden. Ich torkelte über die Bühne und die Geschichten sprudelten nur so aus mir heraus. Der Alkohol hatte mich gelockert und Blut war geleckt. Es war kurz darauf, dass ich zu schreiben begann und ich muss feststellen, dass es manchmal nur einen einzigen Menschen braucht, um die eigene Leidenschaft zu entdecken. Auch beim Schreiben sprudeln die Geschichten nur so aus mir heraus, manchmal mehr, manchmal weniger. Aber es ist ein gutes Gefühl, wenn es am Ende niedergeschrieben steht.

Ich glaube, es gibt einen Fluss für jeden von uns. Einen Weg, der dir gelegt wurde, damit du dich wohl fühlst in deinem Leben. Ich habe für mich festgestellt, dass ich diesen Fluss oftmals gegen den Strom geschwommen bin. Das war dann, wenn jeder Tag mich fertig machte und es alles keinen Sinn ergab. Doch es gibt hin und wieder einen Richtungsgeber. Der zeigt dir einen Weg, dem du folgst und dieser Weg führt dich woanders hin. Und plötzlich geht das Schwimmen wieder ganz einfach, weil du die Richtung geändert hast, ohne es zu merken. Das Leben läuft leichter und es gibt einen Sinn, der nicht gesucht werden muss.

 

Steffen Gärtner

Leave a Reply