Das Brummen in meinem Kopf
Die Nacht ist ruhig und daher nehme ich das Brummen in meinem Kopf umso stärker wahr. Ich weiß genau, wann es Teil meines Lebens wurde. Es ist erst ein paar Jahre her, da schmiss ich mein Studium hin und brach sämtliche Zelte ab. Ich zog aus meiner Wohnung aus und stellte mein Handy erst auf lautlos, dann ganz ab. Ich war für jeden, der mich kannte, vom Erdboden verschluckt. Meine Familie wusste nicht mehr wo ich war und wie es mir ging und das kleine Zimmer, dessen einziges Fenster gegenüber direkt vor einer dunklen Mauer war, sollte meine neue Heimat für die nächsten Monate sein. Das Zimmer spiegelte mein Inneres wider und diese Dunkelheit im Zimmer, war auch in mich eingekehrt und sie wummerte in jedem stillen Moment gegen mein Ohr mit diesem tiefen Brummen.
Dieses Brummen könnte mich eines Tages womöglich wahnsinnig werden lassen, aber davon ist momentan nichts zu spüren. Im Moment ist es einfach nur mein Körper, der mich vor dem alltäglichen Stress warnen möchte, doch ich finde keine Zeit, mich davon zu erholen. Damals hatte ich sehr viel Zeit. Zeit, mich mit mir selbst ausgiebig zu befassen und gleichzeitig zu definieren, wo ich bin und wo meine Heimat ist. Ich kann nicht mehr an meinen zwei Händen abzählen, wie oft ich umgezogen bin und so kann ich nicht von einem Ort sprechen, an dem ich mich zuhause fühle. Meine Eltern kamen beide nicht von da, wo ich aufwuchs und deren Eltern waren auch aus ihrer Heimat gezogen. Meine Wurzeln hängen somit eher an Personen, als an einem Ort oder einer Geschichte. Diese Wurzeln jedoch schnitt ich radikal ab, indem ich verschwand. Doch ein Mensch braucht eine Heimat. Einen sicheren Hafen, in den er einkehren kann. Ich brauche eine Heimat. Mein sicherer Hafen liegt irgendwo in mir selbst. Keine Ahnung, wann ich diesen Hafen errichtete, aber jetzt, mitten in der Nacht höre ich das tief brummende Nebelhorn, das mich warnt. Es warnt mich vor den spitzen Steinen im Wasser, gegen die ich nicht branden darf. Und so bleibe ich auf See, aber immer in der Nähe. Das Wasser klatscht gegen das morsche Holz des Bootes und die Wellen schaukeln mich hin und her. Sie wiegen mich in den Schlaf.
Wenn ich morgens aufstehe, ist das Nebelhorn verklungen und ich bin wieder bei mir. Der Schlaf hat mich wieder ein Stück weit zu mir selbst gebracht, so wie mich die Strömung des Meeres an Land gespült hätte. Der Kontakt zu meinen Verwandten keimt wieder auf, aber es fällt mir schwer, ihnen entgegen zu treten. Keiner von ihnen hat mich verurteilt, das brauchen sie auch nicht, denn ich bin darin viel besser als sie. Es gibt keinen besseren Ankläger, keinen schärferen Richter und keinen kälteren Henker als mich selbst. Mein Kopf ist längst im Weidenkorb gelandet und das Messer des Fallbeils blitzt vor meinen Augen, während das Blut aus meinen Hals herauspulsiert. Es ist merkwürdig den eigenen Weg zu gehen und ich frage mich, wie sehr einen das Gefühl der Schuld alltäglich handeln lässt. Ist es dieses Gefühl, das mich dazu bringt, anderen Menschen zu helfen ohne einen Gegenwert anzunehmen? Wie oft schon wollten sich Freunde erkenntlich zeigen, doch ich wiegelte ab. Ich habe den Dank nicht verdient, so scheint es mir. Ich stehe doch in ihrer Schuld.
Mein Kopf erkennt den Fehler, doch das Brummen in meinen Ohren ist lauter. Es lässt mich vergessen, dass meine Schuld so schwer gar nicht wiegt. Oder etwa doch? Haben die bangen Tage, die meine Familie wegen mir verbrachte nicht eine solche Schwere, wie ich sie nie in meinem Leben wieder aufwiegen kann? Mein Verhalten hat mich zu Erkenntnis geführt:
Die Momente, die mich uneins mit meiner Familie fühlen ließen, dürfen unsere Bande nicht zerreißen lassen. Es mögen politische Ansichten sein oder berufliche Wege oder gar die Liebe. All dies mag dem ein oder anderen falsch erscheinen. Doch die Fäden, die uns als Familie zusammenhalten, sind nicht so dick und stark, wie ich es immer dachte. Nein, sie können unheimlich fragil sein. Wir sollten zusammenhalten und füreinander da sein. Wir sollten uns vergeben und zuhören. Diese eine Heimat kann verloren gehen. Halte sie in Ehren!
Steffen Gärtner
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