Von Adam und geleerten Serotoninspeichern

Es ist ein Fehler. Es ist ein Fehler, hier zu sein. Ich habe keinen Platz, es ist so heiß, die verbrauchte Luft drückt auf meine Lunge. Ich kann ihn riechen, obwohl er am anderen Ende des Raums steht. Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte ich es zulassen, dass es wie damals ist?

Die flackernde Glühbirne lässt seine Wimpern Schatten auf seine Wangen werfen. Er wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Die Musik ist so laut, dass der Boden vibriert, aber ich muss den Klang dieses vertrauten Geräuschs nicht hören, um zu wissen, wie es sich anfühlt. Es tut so weh, wenn mein Herz so schnell schlägt. Niemand hat mich je gewarnt, wie unumgänglich dieser Schmerz ist. Wie es dein ganzes Denken annimmt und alles plötzlich im Takt abläuft.

Es ist so, als wäre diese flirrende Wärme da gewesen, seit ich den ersten Atemzug getan habe. Als wäre es das Normalste auf der Welt, hier zu stehen, einsam inmitten der tanzenden Meute, einsam, wenn ich ihm in die Augen schaue. Einsam, einsam mit dem Wissen, das mich manchmal umzubringen droht. Aber es ist nicht die Einsamkeit, die mir heute zu schaffen macht, es ist meine grenzenlose Dummheit. Wie zur Hölle habe ich mich dazu überreden lassen, mitzumachen? Ich habe klare Regeln, seit jener Februarnacht. Ich habe sie nie niedergeschrieben, damit es keine Beweise gibt, aber sie sind in mein Gedächtnis eingebrannt. Trinke nie mehr als ein Glas, wenn die Möglichkeit besteht, dass ihr euch alleine in der Dunkelheit wiederfinden könntet. Nimm nie mehr als ein, zwei Züge. Lache, wenn es die anderen tun. Wende den Blick ab, wenn er lacht und tue es niemals, wenn er dir direkt ins Gesicht schaut. Ich habe nie verstanden, warum es nachts so viel härter ist als bei Tageslicht.

Die Welt neigt sich in einen unnatürlichen Winkel und ich spüre, wie das schmerzhafte Pochen sich verlangsamt. Klack, klack, klack. Es fängt oben in der Stirn an und schleicht nach unten, übers Gesicht, die Schultern und die Brust entlang. Immer tiefer, immer schneller. Ein bisschen wie Koffein. Ein bisschen wie das erste Mal betrunken sein. Oder das erste Mal die richtigen Schmetterlinge. Aber mein Blick ist scharf und mir ist nicht schwindelig. Es legt sich eine warme, tröstende Decke über mich und da ist in der nächsten Sekunde so viel Schönheit, so viel Glück und Energie und gleißendes Licht, dass ich losrenne. Geradewegs auf ihn zu, obwohl eine immer leiser werdende Stimme mich verzweifelt davon abzuhalten versucht. Es dauert kaum die zwanzig Sekunden, in denen ich die Tanzfläche überquere, bis sie vollständig verstummt ist. Ich dachte, es kommt schleichend, aber es ist ein glatter Bruch. Kein Leid, keine Zweifel und auch nichts mehr von der Panik, die mein täglicher Begleiter geworden ist. Man soll eine Wunde nicht mehr berühren, wenn man möchte, dass sie verheilt. Ich berühre sie nicht nur, ich streue literweise Salz hinein. Finde, was du liebst, und lasse es dich töten – das ist vielleicht treffender. Ich stolpere nicht einmal mehr über das gefährliche Wort, ich merke nur, wie ich lachen muss. Es kann so einfach sein. Es ist wunderbar still hier, obwohl ich weiß, dass in der anderen Welt elektronische Töne die Wände beben lassen müssen.

Er packt mich an den Schultern, als ich vor ihm stehe und grinst mich breit an.

„Du spürst es, oder?“

Es gibt nichts, was ich nicht spüre, will ich ihm entgegenrufen. Ich starre auf seine Lippen und es ist in Ordnung. Für heute Nacht ist alles in Ordnung. Wieso habe ich mir auch nur für einen Augenblick Sorgen gemacht? Das hier gerät nicht außer Kontrolle, es ist nicht wie Alkohol, sie haben es mir doch gesagt. Es ist pure Euphorie vermischt mit dem Gefühl, dass ich alles tun kann. Wer braucht schon die Regeln? Wer braucht die Erinnerung?

Ich lasse mich von ihm nach draußen ziehen, auf den Hügel, wie wir es geplant haben. Wo die anderen sind, weiß ich schon lange nicht mehr. Die Nachtluft ist in mir, der Sommer lässt den Himmel glühen. Ich habe noch nie so rote Wolken gesehen.

„Hier ist alles“, sagt er und sein Gesicht ist so nah, dass ich all die Möglichkeiten sehe, all das, was in diesem Universum passieren kann. Oder im nächsten. „Wir wussten ja, wie es sein wird, aber es so anders, es selbst zu fühlen, oder?“

Ich muss ihm nicht antworten, er kann meinen Blick sehen, die Nacht war noch nie so hell. Ohne Schmerz kein Herzschlag. Ich strecke meine Hand aus und lege sie auf seine Brust. Langsam, ganz langsam. Es war nie einfacher, weil ich mich sehe, als hätte ich meinen Körper verlassen und würde uns von oben betrachten. Ich weiß, was ich tun werde, nur Sekunden, bevor es geschieht. Ich sehe, wie unsere Beine angewinkelt im feuchten Gras liegen, wie unsere Brust sich hebt und wieder senkt, als wären wir eins.

Ohne Schmerz erscheint es so willkürlich, hier neben ihm zu liegen, so unbedeutend normal. Vielleicht ist die Abwesenheit von Schmerz nicht Glück. Vielleicht ist es Taubheit.

Wie ist es möglich, dass ich seinen Körper neben mir spüre, dass wir alleine sind und ich es ertragen kann?

Er schiebt meine Hand beiseite und nimmt mich in den Arm und da weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Es ist nicht die Taubheit, die den Schmerz ersetzt.

 

*

 

Wir liegen nicht mehr, wir rennen Hand in Hand. Ich glaube, wir sind im Wald, aber sicher kann ich mir nicht sein. Nur das Glühen des Himmels ist nicht mehr zu sehen, dafür glühen seine Finger, die mit meinen verschlungen sind. Wir halten alle paar Meter an, um nach Luft zu schnappen und fallen uns automatisch um den Hals. Bevor wir weiterrennen, erzähle ich ihm Stück für Stück, was seit dieser Nacht in mir gefangen ist. Ich weiß jetzt, dass es Irrsinn war, jemals zu glauben, ich könnte es in mir vergraben. Ein Satz nach dem anderen bricht es aus mir hervor wie Lava aus einem Vulkanstein in schillernder Stille. In jeder noch so gewaltsamen Zerstörung liegt ein Hauch von grausamer Schönheit.

Ich kann nicht aufhören, an deinen Körper zu denken. An die feinen Härchen in deinem Nacken, die sich aufrichten, wenn es regnet. Ich weiß, ich sollte an Mia denken. Oder an irgendein anderes Mädchen. Ich weiß, ich weiß doch, dass es nicht normal ist. Ich weiß, dass wir uns seit dem Kindergarten kennen. Ich schwöre, es war nicht immer so.

Jedes Mal, wenn er hört, wie meine Stimme bricht, stößt er mich mit voller Wucht von sich, nur um ein paar Augenblicke später nach meiner Hand zu greifen und mich weiter durch das Dickicht zu ziehen. Ich bin mir jetzt fast sicher, dass wir im Wald sind. Wir stolpern, er öfter als ich und wir fallen ab und zu, richten uns aber immer wieder auf, ziehen uns mit dem Gewicht des Stehenden wieder hoch. Nie sind wir beide am Boden, nie weicht die Hoffnung vollständig von unserer Seite.

Als alles aus mir gekommen ist und ich nichts als euphorische Leere verspüre, fängt er an, zu sprechen. Ich brauche eine Weile, um zu realisieren, dass wir zum Stillstand gekommen sind und mein Gesicht wieder in seiner Schulter vergraben liegt. Die Zeit ist flüssig und sie fließt schneller dahin, als ich denken kann. Ich spüre das Stechen nicht mehr, das mich immer überkommt, wenn ich ihn sehe. Vielleicht muss ich ihm immer so nah sein, um das Elend auszublenden. Vielleicht sollte ich mich aber auch nie wieder ohne Amphetamine in seine Nähe begeben. Ich spüre seine Hände in meinem Haar und sein rasendes Herz an meinem. Es donnert so sehr gegen meine Rippen, dass es beinahe wieder Schmerz sein könnte.

Er hat den Gedanken nach der Party damals verdrängt, höre ich ihn sagen. Er hat immer gespürt, dass mein Verhalten ihm gegenüber anders war, aber er wollte nicht daran denken, dass sich an unserer Freundschaft jemals etwas ändern könnte. Ich bin schließlich der wichtigste Mensch in seinem Leben, er hatte Panik davor, sich einzugestehen, dass ich ihm entgleiten könnte.

Ich lache, ich lache so sehr, dass es uns beide schüttelt.

Ich bin so glücklich.

Wieso weinst du dann?

Ich spüre erst, dass mir heiße Flüssigkeit über die Wangen rinnt, als er mein Gesicht zwischen seine Hände nimmt. Es ist stockdunkel, aber ich sehe jedes Detail. Das Schwarz seiner Pupillen hat das Grün verschluckt.

Ungefähr vier Stunden, haben sie uns gesagt, dann lässt es langsam nach. Morgen früh werdet ihr euch fühlen, als würdet ihr euch in einer monatelangen Depression befinden. Man kann nicht sein ganzes Glück in einer Nacht aufbrauchen, ohne später die Rechnung dafür zu zahlen. Aber hey, es lohnt sich, macht euch nichts draus.

Lass uns abhauen, höre ich mich sagen. Lass uns nachlegen. Lass uns sterben, hier wäre es doch schön.

Ich höre die Geräusche, die aus ihm kommen, ohne zu verstehen, was passiert. Es klingt, als würde er den Menschen hinter sich lassen. Ich muss ihn schütteln, um ihn zur Vernunft zu bringen. Wir sind hier mitten im Paradies, nichts muss wehtun, nichts muss ihm Sorgen bereiten. Wir haben nicht mehr so lange, wieso verschwendet er es?

Wenn wir nicht über die Zukunft reden, fragt er mich, wenn wir nur den Moment leben, willst du, dass ich dir einfach in die Dunkelheit folge?

Als er dieses Mal zu Boden stürzt, bin ich nicht vorbereitet. Wir fallen ins Nichts und ich weiß, es sollte wehtun, aber das tut es nicht. Noch nicht, flüstert eine Stimme in meinem Kopf.

Ich wusste, dass du mich verlassen wirst, eines Tages, bringt er hervor. Ich wusste, es kann nicht immer so perfekt sein. Er krallt seine Nägel in meine nackte Haut und jetzt wünsche ich, ich würde es spüren.

Es ist mir egal, sage ich, aber ich kann nicht mehr ruhig bleiben, also schreie ich es mir von der Seele, brülle es ihm entgegen mit allem, was ich habe. Es ist mir egal, dass es für dich nicht so ist, lass uns doch einfach hier sein und alles fühlen und nie wieder aufhören.

Er stürzt sich auf mich, fängt an, auf mich einzuschlagen, als würde er mein Verlangen nach Schmerz befriedigen wollen. Wenn ich ganz still halte, kann ich aus der Ferne das Rauschen meines Bluts in meinen Ohren hören.

Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen, ob es nicht seit Jahren genauso für mich ist?

Er weint jetzt so sehr, dass ich die Worte kaum verstehe und mir wird bewusst, dass das Zeug bei ihm eine ganz andere Wirkung haben muss.

Ich will ihm den Mund zu halten, er soll aufhören damit, das ist doch der einzige gottverdammte Moment, in dem es nicht so sein muss wie immer. Aber er lässt mir keine Gelegenheit, mich zu wehren. Er schlägt so lange auf mich ein, bis die ersten Sonnenstrahlen uns durch die Bäume treffen und die Empfindung in meinen Körper zurückbringen.

Und als ich anfange, noch heftiger als er zu schluchzen, da küsst er mich.

Mina Mart

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