Hazem

Krieg macht mich wütend. Er macht mich wütend und traurig und hilflos gleichzeitig und wann immer ich eine Geschichte höre oder jemandem begegne, der vor Krieg geflohen ist, wann immer ich Bilder im Fernsehen sehe, möchte ich weinen.

Irgendwann in den letzten Jahren gewöhnten sich die Medien und die Menschen an Krieg. Flüchtlinge kamen nicht mehr, aus welchem Grund auch immer. Sie ertranken nicht mehr im Mittelmeer (oder wenigstens hörte man nichts mehr davon).

Aus irgendeinem Grund hörte Krieg aber nicht auf, mich zu beschäftigen. Im Gegenteil: Ich wurde von ihm besessen. Ich begann mich über Friedensmediation zu informieren, über Friedensbildung, Konfliktstudien, die UN, Gandhi. Ich hatte das Gefühl, dass ich eine Lösung finden musste, dass ich etwas tun musste, denn anscheinend tat niemand sonst etwas. Menschen litten und starben in der Welt und niemand schien sich darum zu kümmern. Es brach mir das Herz, dass all diese Menschen im Krieg lebten, besser: im Krieg starben.

Und dann traf ich Hazem. Wir sprachen über Literatur, über Frauenrechte und über das Leben. Er erzählte mir von dieser Party, auf der er letzte Woche gewesen war. Dass er Architektur an der Uni studierte, aber nicht wirklich verrückt nach dem Thema war. Er sprach über das Schreiben eines Romans und wie man diesen strukturieren sollte.

Aber er erzählte mir auch, dass die Party, auf der er letzte Woche war, in einer ehemaligen Kriegszone stattgefunden hatte. Dass die Universität, in der er studierte, in der Nähe von Regierungsgebäuden lag und somit nahe an klassischen Bombenzielen. Dass er ins Gefängnis gekommen war wegen ein paar Texten, die er letztes Jahr veröffentlicht hatte.

Ich war überwältigt von diesen Geschichten. Hazem lebte in Syrien, aber er war so wunderbar gewöhnlich. Ja, er lebte in einer Kriegszone. Ja, sein Leben war eingeschränkt und ja, es war nicht unwahrscheinlich, dass er an einem unnatürlichen Tod sterben würde. Aber es schien ihn nicht zu interessieren. Er betrank sich, er wurde high, er feierte und er verliebte sich – genau wie alle anderen jungen Menschen überall auf der Welt.

Ich hatte nie Mitleid mit Hazem. Nie. Wieso sollte ich? Im Grunde schien er sein Leben mehr im Griff zu haben als ich. Er wollte Syrien nicht unbedingt verlassen, er wusste, wo er hingehörte. Ich beneidete ihn fast. Er war ein Zeitzeuge. Er hatte Dinge gesehen, er hatte etwas zu sagen.

Schließlich pendelte sich das Bild ein, das ich von Hazem hatte, irgendwo zwischen Opfer und Held. Das war der Punkt, an dem die Idee für dieses Projekt entstand. Ich möchte, dass mehr Menschen hier, Menschen wie Hazem kennenlernen. Ich möchte, dass die Leute sehen, dass Syrien voll ist mit Menschen mit realen Leben, nicht nur Kriegsopfern. Menschen mit Hoffnungen, Träumen und Perspektive.

Maria Tramountani

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