Diaspora Dialog

Nie zuvor sah ich einen Menschen wie ihn. Sein markantes Gesicht war wie gemeißelt, zumindest wirkte es so, bis er lächelte. Es war ein Lächeln, dass den härtesten Beton durchbrechen konnte, sich breit und strahlend über Zeit und Raum erstreckte und meine Sinne betörte.
Er lebte, arbeitete und liebte sogar für eine Heimat, die ihn auf vielerlei Hinsicht fesselte. Mit der Zeit versuchte ich, diese Fesseln mit zaghaften Blicken und zarten Berührungen aufzuknoten.

Doch es war nicht die ersehnte Liebe, die ich mit Phrasen und Fragen über das Sein und Haben von Herkunft und Geschichte entfesselte, es war das Leid. Es war sein vor mir verstecktes Leid, welches seine schmunzelnden Lippen plötzlich zur starren Kluft formte. Es war nicht nur sein, es war das gebündelte Leiden all jener vergangenen Generationen, ausgelöst durch meine Worte.

 

Er sprach: “Am Anfang war das Wort, so rezitiert der Mensch Gottes Wort. Menschen kredenzten einst in einer gemeinsamen Welt Worte über Orte und Grenzen hinweg. Doch Worten folgten Taten und Sünden, sie bauten Zäune, versetzten, besetzten Häuser und ersetzten gottgegebenes Leben mit sinnlosem Sterben.

Nun sag mir, wie soll ich reden, gar leben, ohne zu hassen?

Wie soll ich reden, ohne zu hassen, wenn Worte sich herablassen, rote Hagel niederprasseln zu lassen?

Wie soll ich reden, ohne zu hassen, wenn Lügen Manifeste verfassen, die schwarze Asche zurücklassen?

Wie soll ich hassen, ohne zu leben, wenn Blutlachen an mir kleben, die Lachenden das Leben nehmen?

Diaspora heißt fern von alldem doch keineswegs kaltblütig gleichgültig zu all dem angehenden Terror.

Die fallende Ferne färbt sich schwarz, die letzte Hoffnung erbt Mensch schwarz. Schwarz, pechschwarz wird mir vor Augen, will dieser Grausamkeit kaum glauben, muss doch den Shit ungläubig beäugen, kann scheinbar nur mit Hass überzeugen.

“Heimat” ruft die heiße Träne, ein Leben lang hallend in blutleeren Herzkammern, bevor sie verlaufen vertrocknet, verlassen versiegt – mit einem Wort besiegt.“

Das letzte Wort war für ihn besiegelt und seine Lippen blieben für mich plötzlich versiegelt.

„Mit einem Wort besiegt?“, fragte ich ihn ruhig und durchbrach die Stille.

„Am Anfang war dein Lächeln. Dein Lächeln, das blühte und glühte, wenn du über Erinnerungen voll warmer Winde, die Mohnfelder zum Wiegen brachten, über Kindheit und Heimat erzähltest, voller Sehnsucht in deinen Augen.
Wenn ich an Heimat denke, suche ich deine Leichtigkeit, dein Lächeln in meinen Gedanken, spüre ich pures Glück.

Ja, wir sind verlorene Kinder der Diaspora, lesen Pamuk, Şafak und Schami, zitieren Rumi sowie „Aus dem Diwan“ und genießen geborgen Seite für Seite verborgene Geschichten voll Tränen der Trauer, der Wut, der Freude und überwinden so von Zeit zu Zeit den Schmerz.

Glaubst du mir nicht, obwohl auch meine Heimat schon lange schmerzlich weit weg aus meiner Sicht ist, obwohl gerade mein Herz vor dir zerbricht?

Nun sag du mir, wie soll ich leben, ohne zu lieben?

Wie soll ich leben, ohne zu lieben, wenn Philosophien fast ausgetrieben, vergilbte Doktrin doch heraussieben?

Wie soll ich leben, ohne zu lieben, wenn Generationen zwar vertrieben, die Diaspora doch die Gleiche geblieben?

Wie willst du lieben, ohne zu vergeben, wenn sie uns all ihre Gaben vergeben, damit wir als Hoffnung weiterleben?

Diaspora heißt für alle Gefallenen, Gefangenen, Gebliebenen, für sie, für uns beisammen zusammen zu kämpfen. Diaspora heißt Hoffnung, heißt Liebe zum Leben.“

Sein darauffolgendes Lächeln ließ mich wieder befreit und glücklich aufatmen.

„Wie soll ich weiterleben, ohne die Heimat zu lieben, ohne dich zu lieben.“

Cansev Duru

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