Geschichten

Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich gern einen Stift in der Hand halte. Dass ich bei jeder Gelegenheit – in der Bahn oder im Café –  ein kleines schönes Notizbuch aufschlage, um poetische Gedanken und tiefgründige Zitate zu verewigen. Stattdessen tippe ich höchstens ein paar Worte in mein Telefon oder nehme mir vor, mir etwas Eindrückliches zu merken und verfluche mich zuhause, weil ich das eben nicht getan habe. Es gibt nur ein Werkzeug, mit dem ich schreiben kann. Keine altmodische Schreibmaschine, kein Füller mit grüner Tinte. Nein: mein Laptop. Da kann ich bearbeiten und löschen und ich lösche viel. Manchmal wäre es schön, das Geschriebene aggressiv durchzukritzeln, sodass das Papier darunter reißt – das geht ja am Laptop leider nicht.

Am liebsten schreibe ich auf der Couch – darüber machst du dich gerne lustig. Man kann auf der Couch nicht arbeiten, sagst du. Ich arbeite aber nicht, ich schreibe. Das ist anders. Sobald es sich anfühlt wie Arbeit, höre ich auf damit. Das ist der Grund, warum ich niemals eine professionelle Autorin werden kann. Weil ich nicht über diesen schmerzhaften Punkt hinausgehe. Ich will nicht. Ich will das Schreiben nicht mit Zwang in Verbindung bringen. Ich will nicht geduldig warten müssen, dass der Flow einsetzt. Wenn der Flow nicht nach drei Sätzen kommt, dann höre ich auf. Dann lösche ich, bis das Blatt wieder weiß ist. Und weil das nicht genügt, verschiebe ich die leere Datei anschließend in den Papierkorb. Und dann leere ich den Papierkorb – sicher ist sicher. Vielleicht fange ich danach von vorne an, vielleicht mit einem neuen Thema, vielleicht lasse ich es aber auch. Ohne Wellen lässt es sich nicht surfen.

Du lachst. Dann schüttelst du den Kopf und wendest dich deinen Zahlen zu. Ach, mein Schatz, jemand muss viel Humor gehabt haben, als er uns zusammenbrachte. Dich, konzentriert an deinen Zahlen am Schreibtisch, mich, die mit den Worten jongliert – auf der Couch. Und wenn ich dir hin und wieder ein Wort zuwerfe, lässt du es fallen, du warst wohl nicht bereit. Und wenn du mir hin und wieder eine Zahl zuwirfst, springe ich erschrocken zurück, du hast ein bisschen zu hart geworfen.

Aber du magst Geschichten. Du magst Erzählungen voller Spannung, einer großen Liebe und mit einem glücklichen Ende. Das ist dir wichtig, du investierst nämlich viel. Das haben wir gemeinsam. Wir leben und wir leiden mit den Protagonisten. Doch manchmal können meine nicht glücklich sein. Das verstehst du nicht. Wieso ich meiner Protagonistin nicht ein schönes Ende schenke, ihr Reichtum und Glück beschere und einen Punkt dahinter setze, damit ihr auch wirklich nichts davon verloren geht. Ich kann nicht anders. Das war ihr Schicksal. Wer bin ich, um das in Frage zu stellen? Ich gab meiner Protagonistin Persönlichkeit, ich gab ihr einen freien Willen, den Weg muss sie sich selber wählen, meine Finger auf der Tastatur führt sie. Ich bin eine allmächtige Göttin in meiner Welt, doch ich erschaffe nach meinen eigenen Regeln.

Es ist in Ordnung, wenn du das nicht verstehst. Manchmal verstehe ich es selber nicht. Manchmal muss ich es von neuem lernen, denn manchmal ist die letzte Geschichte lange her. Daran bist du übrigens schuld. Ich schreibe nämlich viel mehr und viel besser, wenn ich unglücklich bin. Stundenlang kann ich schreiben über Herzschmerz und Vermissen. Aber nur wenn ich mich in beiden suhle. Dann gelingt es mir ganz schnell, den richtigen Ton zu treffen und ein Ventil für meine Gefühle zu finden. Weißt du, wie schwer es ist, über Schmerz zu schreiben, wenn es dir einfach blendend geht? Wie schnell jedes Wort klischeehaft klingt, als hätten es schon Tausende vor dir geschrieben?

Und glückliche Menschen schreiben sowieso nicht. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, das Leben zu leben. Und so sage ich nur mit einem ganz kleinen schlechtem Gewissen, dass ich diese Donnerstagabende einfach viel lieber mit dir vorm Fernseher sitze. Wenn unser größtes Problem die paar Sekunden sind zwischen den zwei Folgen auf Netflix. (Wenn wir in diesen Sekunden wieder nicht reagieren, sitzen wir hier nochmal 40 Minuten.) Ich tausche jederzeit eine Stunde mit dir vorm Fernseher gegen ein Leben lang allein auf der Couch im Flow.

Und deswegen ist es okay, dass manchmal Tage vergehen, manchmal Wochen und manchmal Monate, in denen ich kein Wort schreibe. Es ist okay, dass die einzige Geschichte in meinem Kopf, unsere ist. Und wenn ich dir von unseren beiden Schaukelstühlen erzähle und unserem Lebensabend in einem Haus am Meer, dann kannst du mich gern neckend fragen, woher ich denn das Ende unserer Geschichte weiß. Und dann kann ich dir mit der absoluten Sicherheit einer Schriftstellerin, die ihre Protagonisten kennt, sagen: Weil ich sie schreibe, mein Schatz. Das ist es, was ich tue. Ich schreibe Geschichten.

 

Maria Tramountani

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