Wenn wir helfen

Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich mich schäme, wenn ich einem Geflüchteten erkläre, dass ich beruflich in der Geflüchtetenarbeit tätig bin. Ich umschreibe das immer und sage Dinge wie „Ich arbeite mit Geflüchteten“, vermeide es um jeden Preis zu sagen, dass ich Geflüchteten „helfe“.

Vielleicht beschäftigt man sich mit dem Konzept der Hilfe, wenn man Sozialarbeit studiert. Für mich ist das in dieser Form neu. Ich weiß nur: Wenn jemand zu mir kommt und sagt „Lass mich dir helfen“, dann entsteht eine Art Machtverschiebung. Die Person steht plötzlich über mir. Sie kann mehr, sie weiß mehr oder sie ist in einem Zustand, den ich noch nicht erreicht habe oder nicht erreichen werde. Noch deutlicher wird die Situation, wenn viele Helfende zusammenkommen, um sich darüber zu beraten, wie sie den Hilfeempfangenden bestmöglich helfen. Das sind dann Fachtagungen oder Workshops. Auf diesen wird ständig über eine „Begegnung auf Augenhöhe“ gesprochen. Der wohl am Inflationärsten genutzte Ausdruck im Bereich der institutionalisierten Hilfe. Der wohl inkorrekteste Ausdruck.

Es kann keine Augenhöhe entstehen, wenn die eine Seite nur gibt und die andere nur nimmt. Wenn die eine immer Hilfe braucht und niemals selber in der Situation zu helfen ist. Augenhöhe entsteht, wenn ich meine Bekannte zum Essen einlade und sie beim nächsten Mal dran ist. Augenhöhe entsteht, wenn ich meinem Klassenkameraden in Deutsch helfe, weil ich das besser kann und dieser mir in Mathe, weil ihm das liegt. Es gibt keine Augenhöhe zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Kranken und Gesunden – und zwischen Geflüchteten und Helfenden.

Augenhöhe entsteht nur zwischen Mensch und Mensch. Und ich muss sagen, dass es mir sehr schwer fällt, das Institutionelle, das Helfende, abzulegen, wenn ich mit Geflüchteten zu tun habe. In einem Moment bin ich ein junger Mensch, der im Gespräch mit anderen jungen Menschen ist, die zufällig eine Fluchterfahrung haben und plötzlich, eine Situation später, bin ich wieder Helfende.

Es fällt mir schwer auf „Danke“ zu antworten. Was soll ich sagen? „Das ist mein Job“? „Ich werde dafür bezahlt“? Es stimmt, aber nicht immer. Was ist es dann? Ehrenamtliches Engagement, das ich in meinen Lebenslauf schreibe und mir gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschafft? Wieso kann es nicht einfach nur Sympathie sein?
Ich beschränke mich meist auf ein „Du hättest dasselbe für mich getan“, auch wenn ich das nicht sicher wissen kann. Wahrscheinlich werde ich nicht in die Situation kommen, dass ich eines Tages fliehen muss.
„Wenn der Krieg vorbei ist, lädst du mich mal in dein Haus nach Syrien ein“, habe ich einmal gesagt, als mich jemand gefragt hat, wie er das, was ich für ihn getan habe, jemals wieder zurückzahlen soll. Er hat traurig gelacht und gemeint, dass das wahrscheinlich nicht so schnell passiert.

Es ist wohl ein Fluch der Jugend, dass man es immer eilig hat. Vielleicht ist Augenhöhe nur ein Jahrzehnt entfernt, in dem sich die Neuankommenden zurechtfinden und einleben. Vielleicht wird aus Hilfsbereitschaft ebenbürtige Freundschaft, wenn man den Menschen nur die Chance gibt, sich ein bisschen zu ordnen. Und wer weiß, vielleicht spaziere ich eines Tages mit jedem einzelnen dieser jetzt Hilfebedürftigen durch Aleppo, Kabul, Asmara und Bagdad, während sie mir die Sehenswürdigkeiten ihrer Heimat zeigen.

Maria Tramountani

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