Helfersyndrom – Teil 2

Tatsächlich dauerte das Gelächter der Gruppe ganze 2 Minuten, die mir unendlich lang erscheinen und unendlich peinlich waren. Besonders Mohammed der Erste und Mohammed der Zweite kugelten sich regelrecht vor mir auf und ab.

Die beiden teilten nicht nur denselben Vornamen, sie waren auch unzertrennliche Freunde und gleichalt, wobei Mohammed der Erste mit 19 schon 23 Jahre alt war und natürlich an Neujahr Geburtstag hatte. Mohammed der Zweite hingegen war tatsächlich 19 Jahre alt und wahrscheinlich nicht an Neujahr geboren. Wie die Kings stolzierten sie durch die Frankfurter Innenstadt mit ihren knallroten Nike Presto Fly Ultra Mega Limited Collection und erinnerten dabei eher an Kasperle und Rumpelstilzchen im Partnerlook. 6 Monate lang sparten sie für die heiß begehrten Sneakers, die sie emsig von ihrem spärlich bemessenen Asylbewerberleistungsgeld oder „Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens“ in liebevollem Beamtendeutsch ausgedrückt abknapsen konnten.

Mohammed der Erste war glühender Kickbox-Fan und suchte ständig und ständig erfolglos nach für ihn bezahlbaren Kursangeboten mit der nötigsten öffentlichen Verkehrsanbindung. Er war sich nie zu schade, bei allen möglichen Sportvereinen nach einem fairen Rabatt zu fragen und bedankte sich trotzdem immer ruhig und höflich auch nach der schroffsten Absage nach dem Motto „wir sind doch net das Sportsozialamt der Welt“.

Mohammed der Zweite dokumentierte regelrecht jede Sekunde seines Lebens auf Facebook. Ich stellte erstaunt fest, dass virale Posts für die Jungs ganz andere Verhältnisse hatten, da er beispielsweise mit Leichtigkeit auf seine Weichzeichner-Selfies und Blumenbilder, geschwängert mit kitschigen Kalendersprüchen über 500 Likes und mindestens davon die Hälfte an Kommentaren generierte. Ebenfalls arbeitete und scrollte er sich Tag und Nacht wie ein Besessener durch aktuelle Nachrichten und Erfahrungsberichte über die politischen Geschehnisse in seiner Heimat durch und postete oftmals über Anschläge, die dort zum traurigen Alltag gehörten.

 „Wir sind Hazara, Janem“, sagte er auf Englisch wie ein Machtwort, dass das Gelächter abrupt beendete. Bevor ich nachfragen konnte und gleichzeitig vor Scham über mein grandioses Unwissen in den Erdboden versinken wollte, klärte er mich auf. Die Hazara bilden eine der größten Ethnien Afghanistans. Sie sprechen Hazaragi, einen persischen Dialekt, und ihr Erscheinungsbild ist meistens mongolisch anmutend, wobei er grinsend auf seine schmalen Augen zeigte.

Nicht selten wurde er in der Bahn von dreisten Mitfahrern gefragt, wo das nächste China-Restaurant wäre. Zu oft fragten ihn enthusiastische chinesische Touristen nach dem Weg zum Hauptbahnhof. Er entgegnete allen mit dem einzigen Chinesisch, dass er konnte: „Schönes Leben noch.“
Er und die Jungs waren schiitische Muslime und teilten deshalb das Schicksal, von der afghanischen Mehrheit diskriminiert, von radikalislamistischen Terrormilizen verfolgt, auf offener Straße massakriert und letztendlich vertrieben zu werden. Doch diese steckbriefartigen Informationen waren nur der Motor für ihre und natürlich seine eigene Geschichte.

Von Tag eins an nannte er mich statt Cansev „Janem“, was auf Dari „mein Schatz“ heißt. Ich fand das anfangs doch recht nervig, aber ich gewöhnte mich schnell und gerne daran, denn von Tag eins war er mir sympathisch und mit jedem Sonntagnachmittag wuchsen meine Sympathie und meine Neugier an ihm.
Er zog sich ausschließlich schwarz an, da er wenigstens den einzigen Vorteil ausschöpfen wollte, nicht mehr mit seiner Familie zusammen leben zu können: von seiner Mutter wie ein „Muttersöhnchen“ angezogen zu werden. Er genoss unter den Jungs sowie auch unter den Ehrenamtlichen ein hohes Ansehen aufgrund seiner besonnenen aber auch eigenwillig selbstbewussten Art und Weise, die Dinge anzugehen. Selbst Mr. Meggesbraue übertrumpfte er mit seinen Englischkenntnissen, die er sich in der Schule nach seiner ersten Flucht in Pakistan aneignete.

Fast schon lakonisch verabschiedete ich mich von den Jungs, sah flüchtig doch schuldig in seine leuchtenden Augen und nahm die nächste Straßenbahn.

Dies war einer meiner letzten Sonntagnachmittage als sogenannte Flüchtlingshelferin. Hals über Kopf, gepackt vom Helfersyndrom wollte ich dem trüben Chaos meiner Selbstfindung entfliehen, dass mich letztendlich einholte. Meine Lebensrealität schien im Verhältnis zu ihrer so viel stabiler, priviligierter. Wurden aus Ehrenamtlichen doch plötzlich „Gutmenschen“ und „Verfächter der Menschlichkeit“. Wie falsch und narzisstisch es ist zu denken, dass Flüchtlinge, Geduldete, Asylsuchende und –bewerber – einfach Menschen, so divers und vollkommen verschieden voneinander, auf uns und unsere Hilfe angewiesen wären. Denn auch meine Solidarität, mein Interesse fußte unbewusst auf genau dem Fundament, aufgrund meiner Herkunft, Sprache und Kultur besser und mächtiger zu sein als sie.

Ich hörte lange nichts mehr von den Jungs. Nur das eine Mal sah ich Thorsten, der zusammen mit Meggesbraue und Mohammed dem Zweiten lachend aus einem helal Burgerladen herauskam und sie danach besonnen in tiefsinniger Solidarität ihre Wege gingen.

Canse Duru

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